1839-1841

Lehrerinnenausbildung unter privater Leitung der Josephine Stadlin.

Töchterinstitut und Lehrerinnenbildungsstätte

 

Josephine Stadlin wurde 1806 in Zug als Tochter der verwandtschaftlich mit den einflussreichen Familien der lnnerschweiz liierten Pauline Uttinger und des weit gereisten Arztes, Historikers und dezidierten Liberalen Franz Stadlin geboren. Als Älteste war sie nach dem frühen Tod des Vaters in Absprache mit der Mutter für den Unterhalt der Familie und die Ausbildung der jüngeren Geschwister  verantwortlich. Sie unterrichtete Schülerinnen bei sich zu Hause und liess sich dann im Einverständnis mit der Mutter im Institut Niederer-Kasthofer in Yverdon zur Lehrerin ausbilden.

 

Sie übernahm 1834 die Leitung des Töchter­-Instituts in Aarau und war kurz darauf dank der Vermittlung des Bildungspolitikers und Aargauer Seminardirektors Augustin Keller auch für die Ausbildung von Lehrerinnen zuständig. Mit Hilfe ihrer Jugendfreundin Elise Sidler, zweier Schwestern, eines Bruders und der Mutter machte sie sich 1839 im ländlichen Olsberg selbständig.

 

Ungeachtet der Beschlüsse des Grossen Rates versuchte die Zugerin Josephine Stadlin das Töchterinstitut auf privater Basis wieder aufleben zu lassen. Die Eröffnung erfolgte im Juni 1839. Das Ziel war die Erziehung des gebildeten Bürgerstandes «vorzugsweise durch und zur Religiosität». Die Aufnahme stand grundsätzlich allen Mädchen offen, die den hohen Pensionspreis bezahlen konnten. Die drei Jahre dauernden Kurse setzten dort ein, wo eine gute obere Elementarklasse aufhörte.

Brief von Josephine Stadlin

an den Kantonsschulrat betreffend

Missstände in Olsberg, 12. Dezember 1840

StAAG DE01/0388c2 1

Lehrgegenstände

a) allgemein

Religionslehre

Erziehungslehre

Deutsche und französische Sprache

Rechnen und Buchhalten

Geschichte

Geografie

Naturlehre

Naturgeschichte

Elementarzeichnen

Gesang

Weibliche Arbeiten

Gartenbau

 

b) besondere

Englische und italienische Sprache

Instrumentalmusik (Klavier und Gitarre)

Kunstzeichnen

Tanz

 

Der Religionsunterricht wird den katholischen und reformierten Zöglingen von einem Geistlichen ihrer Konfession gegeben.

Der Unterricht in der Geschichte, der Geografie, in der Naturlehre und Naturgeschichte, auch der in den besonderen Lehrgegenständen wird teilweise oder ganz Lehrern übertragen. Den übrigen übernimmt die Vorsteherin mit einigen Hilfslehrerinnen, worunter wenigstens einer die französische Sprache Muttersprache sein soll, vorzüglich damit das Französische, als Haussprache immer rein gesprochen werde.

Nach den mehrfach ausgesprochenen leitenden Grundsätzen und Zwecken werden diese Lehrgegenstände in drei aufeinander folgende Jahreskursen jeder von zwei Semestern gelehrt werden.

Eintrittsbedingungen

 

Jedes gesunde Mädchen von guter Aufführung kann unter folgenden Bedingungen im Institut aufgenommen werden:

Der jährliche Pensionspreis ist 25 bis 30 Louisdor in vierteljährlicher Vorausszahlung. Beim Eintritt bezahlt jede eine Louisdor für die Bibliothek der Anstalt und je am Neujahr 4 Franken für die Dienstboten. Nur die besonderen Lehrgegenstände werden besonders bezahlt und zwar für:

Instrumentalmusik jährlich 4 bis 8 Louisdor.

Englische oder italienische Sprache jährlich 3 Louisdor.

Kunstzeichnen jährlich 1 Louisdor.

Tanz jährlich 1 Louisdor.

 

Die Zöglinge sollen 2 bis 4 Fr. Monatsgeld haben, woraus sie Schreibmaterialien u.a.m. anschaffen.

 

Mitzubringen hat jeder Zögling:

Einen Tauf- und Heimatschein; sein Bett; nämlich eine Matratze, eine Strohmatratze, ein Haupt- und Ohrenkissen, eine wollene Decke, ein leichtes Deckbett mit einem weissen Bettüberwurf. Ich wünschte, dass den Zöglingen statt der Kopfkissen mit Federn solche mitgegeben würden, die wie die Matratze gefüllt und geheftet, aber in der gewöhnlichen Form diese Kissen wären. Auch bringt jede Tochter ihr Besteck, bestehend aus Messer und Gabel, silbernem Löffel und Kaffeelöffel; einen Regenschirm, Kleiderbürste e.c. Mit Servietten, Waschtüchern und Weisszeug überhaupt sollte jede Tochter für 3 Monate versehen sein, da nur alle Vierteljahr grosse Wäsche ist. In der Zwischenzeit müssten die Zöglinge auf ihre Kosten waschen lassen.

Einrichtungen und Bestimmungen

 

Im Sommer wird das Tagwerk mit 5 Uhr angefangen. Bis 7 arbeiten die Zöglinge unter Aufsicht ihre Aufgaben aus.

Von 7 bis 8 ist Freistunde, während welcher man frühstückt und sich zur Morgenandacht versammelt. Die katholischen Zöglinge gehen zur hl. Messe.

Die vier folgenden Morgenstunden sind, mit einiger Ausnahme für diejenigen, die sich vorzüglich dem Hauswesen widmen, dem wis-senschaftlichen Unterricht bestimmt. Zwischen der zweiten und dritten Stunde ist eine Viertel-stunde frei.

Von 12 bis 1 frei fürs Mittagessen.

Von 1 bis 3 weibliche Arbeiten, während welchen vorgelesen wird. Die drei folgenden Stunden bis 6 sind für Musik, Zeichnen u.a. bestimmt.

Eine Versammlung in er man auf den verflossenen Tag zurückblickt und das Nötige von Herzen zu Herzen bespricht, und endlich Gesang und Gebet schliessen das Tagwerk.

Jeder Zögling schläft in seinem eignen Bett, und in jedem Schlafzimmer auch eine Lehrerin.

Im Winter steht man eine Stunde später auf und nimmt das Frühstück um 8, das Mittagessen um 1 Uhr. Die Stunde vor dem Mittagessen wird dann zu einem Spaziergang oder anderen Bewegungen verwendet.

Von 2 bis 5 Musik, Zeichnen, e.c. und von 5 bis 6 wissenschaftlicher Unterricht, statt der Stunde, die am Morgen wegfällt.

Nach dem Abendessen weibliche Arbeiten mit Lesen.

Alles andere ist wie im Sommer.

Hin und wieder wird ein Abend zu kleinen Konzerten, Tanz und Deklamationsübungen, kleinen Vorstellungen e.c. verwendet, teils zum Vergnügen der Zöglinge teils und mehr noch zur Beförderung ihrer musikalischen und ästheti-schen Bildung.

Die Kost ist einfach, aber reinlich und gut zubereitet. Zum Frühstück hat man Brot, gute Milch mit etwas Kaffee; zum Mittagessen Suppe, Fleisch und zwei Gemüsearten mit Brot und Wein, und das Abendessen besteht aus Brot, Milch mit wenig Tee oder Kaffee und gekochtem Obst, Butter, Kuchen und dergleichen.

Die Kleidung der Zöglinge soll wohl geschmackvoll und immer sehr ordentlich, aber einfach und bequem sein. Es wird durchaus nicht gestattet sich stark zu schnüren oder sehr enge Kleider zu tragen, eben so wenig sich zu leicht zu kleiden.

Reinlichkeit und gerade Haltung des Körpers wird beständig und streng von den Zöglingen verlangt.

Es werden hin und wieder lauwarme Bäder der Reinlichkeit und Gesundheit wegen angenom-men.

 

Die Zöglinge sind nicht nur angehalten selber reinlich und ordentlich zu sein, sie sollen auch um sich herum alles in Ordnung und überall Reinlichkeit wahrnehmen.

Alle Zimmer werden täglich gelüftet, das ganze Haus immer sehr reinlich gehalten; Alles darin hat seinen Platz, Alles seine Zeit.

Ich glaube es werde aus Allem, was vom Leben im Freien, von Bewegung, Arbeit und Ruhe, Von Nahrung, Kleidung und Reinlichkeit gesagt ist, wohl hervorgehen, wie wichtig mir auch das physische Wohl der Zöglinge ist. Noch mehr, als aus diesem, muss es aus dem Ganzen hervorgehen.

Der Grund warum Josephine Stadlin das Institut in Olsberg bereits 1841 wieder aufgab, bestand in erster Linie im baulichen Zustand der Gebäude. Dieser hatte seit der Klosteraufhebung stark gelitten. Die Mängelliste wurde immer länger, ohne dass daraus wirklich Konsequenzen gezogen wurden. Reparaturen wurden immer wieder aus finanziellen Gründen hinausgeschoben. Die Verträge zwischen Kanton und der Schulleitung wurden nur einseitig umgesetzt. Josephine Stadlin wehrte sich erfolglos: «… Jedes Mal hiess es: ich soll doch nur ruhig sein, es werde gewiss noch zur rechten Zeit gemacht … Endlich … schickte ich Leute dahin, damit sie wenigstens den Unrath wegschafften … Wenn dann auf den zerbrochenen Platten der Gänge wieder jemand fiel, … wenn der Wind frei durch alle Zimmer zog, wenn etwa Fremde über die so schmutzigen, zerrissnen Tapeten od. Ähnliches sich Bemerkungen erlaubten, wenn meine Mägde jammerten, dass sie in der Küche immer im Wasser stehen müssen … Und Brief auf Brief ging nach Aarau – dort legte man sie lächelnd beiseite – man wusste nicht, was sie mich kosteten! … In der Küche ist ein rinnender Brunnenstock, den wir schon oft, so gut sich's thun liess, ausbessern liessen. … Wir haben nicht nur beständig einen nassen Küchenboden, sondern das Wasser dringt schon seit einiger Zeit durch das Gewölbe in den Keller. … Nein! Hochgeachteter Herr Präsident! Hochgeachtete Herren! Bettler könnte man allenfalls abweisen, aber nicht wer auf dem Boden seines guten Rechts stehend, und das Billige will. …» Josephine Stadlin gab das Projekt „Bildung für die weibliche Jugend“  in Olsberg auf und zog nach Zürich.

 

Sie verlegte das Institut in das von ihr käuflich erworbene Haus «Sonnenbühl» am Fuss des Zürichbergs und gliederte dem Seminar eine Musterschule an. Die angestrebte Anerkennung der Privatschule als schweizerisches Lehrerinnenseminar blieb ihr versagt. Sie scheiterte als Unternehmerin und entging dem Bankrott 1853 nur dank dem Verkauf der Gebäulichkeiten. Sie lebte nun als Privatgelehrte, Referentin und Autorin. Nach ihrer Heirat 1858 mit dem über sechzigjährigen Arzt und Zürcher Bürgermeister Ulrich Zehnder arbeitete sie intensiv an einer Pestalozzi-Biografie. 1875, kurz nach ihrem Tod, erschien der erste Band des auf acht Bände angelegten Werks im deutschen Verlag Gotha.

Ölbild, unbekannter Maler um 1840, Privatbesitz